Der treue Bartel oder der gute Hirte
Wo schriftliche Zeugnisse nicht bis zum Ursprung zurückreichen, ersetzt die Phantasie des Volkes das Fehlende durch die Sage. So umrankt ein ganzer Kreis von Legenden die Entstehung des Schäferlaufs und die Gestalt des treuen Schäfers Bartholomäus, in Markgröningen kurz Bartel genannt. Zwei Hauptstränge der schriftlichen sowie mündlichen Überlieferung sind hier zu unterscheiden.
Beiden gemeinsam sind die Motive der Zuverlässigkeit und der Treue gegenüber dem Herrn. Denn der hohe materielle Wert einer Schafherde erforderte von den (Wander)Schäfern diese Tugenden, waren sie doch räumlich oft weit von ihrem Herrn entfernt und der Kontrolle der dörflichen Gemeinschaft entzogen.
Der Markgröninger Pfarrer und Historiker Ludwig Friedrich Heyd schilderte 1829 folgende Fassung der Schäferlaufsage: Es gab einmal einen Grafen von Gröningen, dem ein Schafknecht namens Bartholomäus diente. Dieser Knecht sollte angeblich Schafe aus der Herde seines Herrn verkaufen und das Geld für sich behalten. Dies jedenfalls behaupteten der Vogt und der Kammerdiener Francesco gegenüber dem Grafen.
In Wirklichkeit waren sie es, die in die eigene Tasche wirtschafteten. Der Kammerdiener hatte ein Auge auf Bartels Tochter Kätterle geworfen, die jedoch Johann, den Schäferknecht ihres Vaters liebte. Den Grafen verdross die angebliche Untreue seines Schäfers sehr, denn er hatte Bartel bisher immer für treu gehalten und wollte nicht glauben, was man von ihm behauptete.
Deshalb wollte er Bartel auf die Probe stellen. So gab der Graf vor, über Land zu reisen. Heimlich kehrte er jedoch als Metzger verkleidet zurück und ging selbst zu dem Knecht aufs Feld. Er bot Bartholomäus viel Geld - dieser lehnte jedoch immer standhaft ab. Und als sich der falsche Metzger an einem Stück aus der Herde vergriff, schlug ihn der ergrimmte Knecht.
Daraufhin gab sich der Graf zu erkennen, lobte die Treue des Dieners, schenkte ihm einen Hammel und befahl, dass die Schäfer am Namenstag des treuen Schäfers Bartholomäus alle Jahre ein Fest der Freude und des Andenkens feiern sollten.
Diese Version ist die bekannteste und stellt auch das Thema des von Pfarrer Albert Esenwein 1909 verfassten Theaterstücks „Der treue BarteI". Das Stück endet mit einem "Happyend" in Form der Hochzeit von Bartels Knecht Johann und der Tochter Bartels namens Kätterle. Alljährlich werden Szenen des Schauspiels auf dem Stoppelfeld vor Beginn der Darstellungen gespielt, um die Entstehung des Schäferlaufs wieder ins Gedächtnis zu rufen. Zusätzlich finden am Festwochenende in der Stadthalle mehrere Aufführungen des Stücks in seiner gesamten Länge statt.
Die zweite Sagengruppe hat speziell die Treue des Schäfers Bartel als Kern. Demnach hatte Bartholomäus in der Schlacht um "Burg Rotenberg“ dem Grafen Eberhard dem Erlauchten, bereits einmal das Leben gerettet. Im Reichskrieg gegen den im Jahr 1310 mit der Reichsacht belegten Württemberger fielen nacheinander alle württembergischen Festungen bis auf Hohenurach und Hohenasperg, der auf der Nachbarmarkung Markgröningens liegt.
Bei der Belagerung des Aspergs durch Kaiser Heinrich VII. im Jahr 1310 verhalf Bartholomäus der bedrängten Burgbesatzung zur Flucht, weil ihm seine Liebste einen zwischen Asperg und Markgröningen verlaufenden Geheimgang verraten hatte. Nach der Rückeroberung Württembergs durch Graf Eberhard I. im Jahr 1315 ernannte er den treuen Bartel zum Meister der Markgröninger Schäferzunft und stiftete an dessen Namenstag ein Fest.
Die christliche Symbolik des treuen Hirten
Abgesehen von den genannten Sagen kann die Figur des Bartels auch in Bezug zur christlichen Symbolik des "guten Hirtens" gesehen werden, auf dessen Schutz und Schirm die "Herde" der Gläubigen vertrauen kann.
Kein Wunder, dass diese Thematik von den Markgröninger Diakonen - denn zu ihrem Aufgabenbereich gehörte früher die Schäfer- laufpredigt - über Jahrhunderte hindurch gewählt wurde. Heute halten auch Gäste die Predigt des mittlerweile ökumenischen Gottesdienstes am Schäferlaufsamstag. Die Anspielung auf die christliche Tradition sowie die Sagen sollten vor allem früher zur sozialen Aufwertung des "unehrlichen" Schäferstandes beitragen.
Der heilige Bartholomäus
Die heutige Markgröninger Bartholomäuskirche war ursprünglich den beiden Aposteln Peter und Paul geweiht. In der Frühen Neuzeit gab es einen Patroziniumswechsel und die Stadtkirche wurde - vielleicht unter dem Einfluss des Schäfertreffens beim Bartholomäusmarkt - zur Bartholomäuskirche.
Bartholomäus ist der Patron der Bergleute, Gipser, Bauern, Winzer, Hirten, Lederarbeiter, Gerber, Sattler, Schuhmacher, Schneider, Bäcker, Metzger, Buchbinder und hilft gegen Haut- und Nervenkrankheiten sowie Zuckungen des Leibes. In Markgröningen wird er lokal als Schutzheiliger der Schäfer verehrt. Allgemein wird der heilige Wendelin als Schutzpatron der Schäfer verehrt.
Der Berufsstand der Schäfer darf nicht mit dem der (Rinder- und Schweine-) Hirten gleichgesetzt werden.